Von untertage ins Rampenlicht

Der Salzmann als Informationsträger und Geschichtenerzähler - eine Diskussion.

Frankfurt, Teheran, Zanjān, Berlin, Bozen, München, Wien
Dienstag, 13. April 2021

Ein Ethik-Diskussionsforum zum Umgang mit menschlichen Überresten

Wie geht man würdevoll mit mumifizierten Menschen um? Darf man Personen, die vor langer Zeit verstorben sind, in einer Ausstellung präsentieren? Vor welchen Herausforderungen stehen die Restaurator:innen und Museumsmitarbeitenden? Diese Fragen stellten sich acht Expertinnen und ein Experte in einem Ethik-Diskussionsforum. Der Umgang mit sterblichen Überresten ist ein aktuelles Thema in den Museen. In Deutschland veröffentlichte der Deutsche Museumsbund eine Handreichung dazu. In Iran gibt es neben den Richtlinien auch religiöse Bedenken. Grundsätzlich sind sich die Diskutierenden einig: Museen beschäftigen sich mit Menschen und deren Fragen. Sie versuchen diese zu beantworten und gleichzeitig zum Nachdenken anzuregen. Daher ziehen auch die Salzmänner die Aufmerksamkeit verschiedener Fachdisziplinen auf sich, die sich in vielfältiger Weise mit der Substanz, Biologie und der sozialen Kontextualisierung befassen.

Es ist wichtig transparent zu sein

Die Expert:innen arbeiten seit mehreren Jahren mit mumifizierten Menschen – den Salzmännern aber auch dem Mann aus dem Eis, der umgangssprachlich liebevoll „Ötzi“ genannt wird. In den Museen in Teheran, Zanjān und Bozen stehen sie vor der Herausforderung, die mumifizierten Menschen zu bewahren und gleichzeitig für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Dabei die Balance zu halten ist schwierig. Darf man Mumien überhaupt in einem Museum ausstellen oder ist das pietätslos? Die Expert:innen sind sich einig: Es sei wichtig transparent zu sein. Den Besucher:innen soll deutlich  werden, warum die Mumien ausgestellt werden und auch, was nötig ist, um sie zu bewahren.

Die Salzmänner sind Zeugen einer Vergangenheit

Die Salzmänner sind einzigartige Zeugen einer Vergangenheit, die wir ohne sie nicht erschließen könnten. Durch ihren tragischen Unfalltod haben die Männer aus dem Salz Alltagsgegenstände bei sich, die ihnen bei einer Bestattung nicht mitgegeben worden wären. Auch ihre Kleidung ist Arbeitskleidung und verrät uns heute dadurch sehr viel über ihren Alltag. Allgemein sollten bei der Ausstellung von menschlichen Überresten verschiedene Perspektiven im Voraus mit einbezogen werden. So sei es laut Diana Gabler nicht ausreichend, nur mit den Restaurator:innen zu sprechen. Auch die Nachfahren der Menschen und ihre Kultur müssen in die Diskussion einbezogen werden – sofern dies möglich ist.

Herausforderung: Salzmänner für die Zukunft bewahren

Die Herausforderung bei den Salzmännern von Zanjān liegt nun darin, ihre sterblichen Überreste vor Insekten- und Pilzbefall zu schützen. In einem vom Auswärtigen Amt und der Gerda Henkel Stiftung unterstützten Projekt gehen die Restaurator:innen in Zanjān und Teheran dieser Aufgabe nach. Sie evaluierten den aktuellen Zustand und erarbeiten neue Konzepte, um die Salzmänner für die Zukunft zu bewahren. Denn obwohl die Männer aus dem Salz menschliche Mumien sind, so sind sie doch auch Informationsträger für die Wissenschaft. In einem Open Lab-Format konnten Interessierte die Reinigung der Salzmänner verfolgen.

Besucher:innen stellen sich den einst lebendigen Menschen vor

Auch die Perspektive der Besucher:innen darf nicht außer Acht gelassen werden. Natascha Bagherpour Kashani, die Moderatorin des Diskussionsforums, wirft die Frage auf, wie die Besucher:innen auf die Salzmänner reagieren. „Viele Besucher:innen reagieren ruhig“, sagt Firouzeh Sepidnameh, leitende Kuratorin im Nationalmuseum Teheran, „denn die Besucher:innen beschäftigen sich schon in den Räumen davor mit den Salzmännern.“ Bei Kindern sei es schwieriger. Sie können oft nicht glauben, dass Salzmann 1 ein echter Mensch war. Ähnliche Erfahrungen berichtet auch Elisabeth Vallazza, stellvertretende Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums: „Der Mann aus dem Eis ist zurückhaltend präsentiert. Das hat zum einen konservatorische Gründe, denn die Kammer darf nicht zu warm werden. Zum anderen möchte das Museum es den Besucher:innen freistellen, sich dem Mann aus dem Eis zu nähern.“ Beide sind sich einig: Bei den Besucher:innen wird ein innerer Dialog angestoßen, denn es gibt selten Situationen, in denen man so direkt mit einem toten Körper konfrontiert ist. Man stellt sich auch den Menschen vor, wie er vielleicht gelebt hat und wer er war.

Eines wird den Zuhörer:innen der Diskussion klar: Es ist nicht einfach, die Balance zwischen würdevollem Umgang und wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse zu halten. Eine differenzierte Beschäftigung mit diesem ambivalenten Thema, wie sie in allen drei an der Diskussion beteiligten Häusern praktiziert wird, ist daher essentiell.

 

 

 

Die Diskutant:innen:

Dr. Shahrzad Amin Shirazi, Leitende Restauratorin im RCCCR (Research Center for Conservation of Cultural Relics, Teheran) Expertin in Iran für die Konservierung und Restaurierung der Salzmumien; beschäftigt sich mit ihrem Team seit der Auffindung des ersten Salzmannes in 1994 intensiv mit der Erforschung und Erhaltung dieser besonderen Kulturgüter.

Diana Gabler, Freiberufliche Restauratorin in Berlin und promoviert derzeit im Fachbereich Ethnologie an der LMU in München. Dianas Schwerpunkt ist die kollaborative Konservierung und Restaurierung mit Herkunftsgesellschaften in ethnologischen Sammlungen. Sie gehört einer Gruppe von Restaurierungsfachleuten an, die zuletzt eine Handreichung zur konservatorischen Betreuung und musealer Nutzung menschlicher Überreste herausgebracht hat.

Dr. Abolfazl Aali, Archäologe und Leiter des Zanjān Saltmen and Archaeological Museum ZSAM und der Abteilung Bodendenkmalpflege der Provinz Zanjān. Abolfazl ist der zentrale Partner für das Deutsche Bergbau Museum auf iranischer Seite. Er ist als Archäologe seit Beginn der Forschungsgrabungen im Salzberwerk involviert. Als Leiter des ZSAM verantwortet er nicht nur den Erhalt der Grabungsfunde aus Chehrabad, sondern beschäftigt sich intensiv mit der adäquaten Ausstellung der Salzmänner.

Dr. Firuze Sepidnahme, leitende Kuratorin der Archäologischen Ausstellung im National Museum of Iran NMI, Teheran. Firuze ist verantwortlich für die Präsentation und Vermittlung des Salzmann 1 im Iranischen Nationalmuseum in Teheran. Sie hat durch ihre jahrelange Erfahrung als Kuratorin einen besonderen Blick für die Bedürfnisse und Reaktionen der iranischen und internationalen Besucher.

Elisabeth Vallazza, stellvertretende Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums und für das Marketing verantwortlich. Das Südtiroler Archäologiemuseum bietet mit ihrer Dauerausstellung einen umfassenden Einblick in die Forschungen zur Biologie und zur Lebenswelt des Mannes aus dem Eis. Elisabeth hat sich mit dem Ötzi als „Wirtschaftsfaktor“ beschäftigt; den Spagat zwischen erfolgreicher Vermarktung und Etablierung der Marke „Ötzi“ und dem respektvollen Umgang mit dem Ötzi als menschlichen Überrest, hat das Museum bislang gemeistert. Mit welche Fragen und Kontroversen sich das Team dabei auseinandergesetzt hat, kann Elisabeth beleuchten.

Dr. Estella Weiss-Krejci, Kulturanthropologin und Archäologin an der Uni Wien und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist Teil des interdisziplinären Forscherteams im EU-Projekt deepdead. Sie forscht über den Umgang mit Toten im mittelalterlichen und nach-mittelalterlichen Europa und beschäftigt sich dabei auch mit der „Nutzung“ der Leichen nach ihrer Bestattung. Durch ihre internationalen Tätigkeiten, u.a. in Lateinamerika, hat Estella Einblicke in verschiedene Kulturen und deren Zugang zu menschlichen Leichen und Überresten.

Kirsten S. Mandl ist Osteoarchäologin and Doktorandin im Bereich Biologische Anthropologie an der Uni Wien. Kirsten beschäftigt sich dabei mit der Taphonomie menschlicher Knochen, also die biologischen Prozesse der Umwandlung / Umstrukturierung des menschlichen Körpers nach seinem Tod. Durch die Methode der Histotaphonomie erforscht sie die verschiedenen Faktoren, die in der frühen postmortalen Phase die Veränderung des Körpers beeinflussen können. Damit kann Kirsten wichtige Erkenntnisse zu antiken Techniken der Leichenbehandlung liefern.

Dr. med. Lena Öhrström ist Humanmedizinerin und forscht im Bereich Paläopathologie und im Mummy Studies Group im Institut für Evolutionäre Medizin IEM der Uni Zürich. Ihre Forschung beruht auf der Anwendung und Optimierung von bildgebenden Untersuchungsverfahren, wie dem Einsatz von radiologischen Verfahren zur Erforschung von antiken Mumien und Skeletten, sowie der Anwendung von MRI (Magnetresonanztomographie) und Terahertzstrahlung zur Verbesserung der bildgebenden Untersuchung. Damit liefert auch Lena neue Erkenntnisse zur Beschaffenheit der menschlichen Überreste aus prähistorischer Zeit.

Esmat Zandi ist Leiterin der Konservierung des historischen und kulturellen beweglichen Eigentums des Landes der ICHHTO. Studium der Archäologie und Restaurierung historischer Denkmäler.

Dipl. Restauratorin Univ. Maruchi Yoshida hat das sogenannte Open-Lab-Project „Die Salzmänner von Zanjan - Leben und Sterben für das Weiße Gold von Cheherabad“ zur Restaurierung und Vermittlung rund um die Mumien ins Leben gerufen und das Diskussionsforum zusammen mit Dr. Natascha Bagherpour Kashani organisiert. Sie ist Konservatorin, Gründerin von kurecon zur Kulturguterhaltung und Gesellschafter Geschäftsführerin von iconyk GmbH für die Erhaltung und Pflege von Kunst und Kulturgütern.

Dr. Natascha Bagherpour Kashani hat das Ethik-Forum gemeinsam mit Dipl. rest. Maruchi Yoshida vorbereitet und moderiert. Sie ist Archäologin und koordiniert und leitet Projekte im Rahmen des Programms rund um die Salzmumien von Zanjan. Das Kulturerberprojekt „Die Salzmänner von Zanjan“ plant und setzt Maßnahmen für die Konservierung der Mumien und organischen Funde im Zanjan Saltmen and Archaeological Museum um. Im Projekt „Water, Education- and Tourism-Project at Māhneshan Region” soll die lokale Bevölkerung, die vom Kulturerbe der Salzmänner betroffen ist, mit Trinkwasser versorgt werden und es sollen mit einem inklusiven einem Tourismus- und Bildungskonzept bessere wirtschaftliche Möglichkeiten in der ländlichen Region geschaffen werden.

© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen

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