Da muss man weiter und herausfinden, wohin der Stollen führt…

Prof. Dr. Thomas Stöllner gibt  uns exklusive Einblicke in seine Arbeit als Montanarchäologe.

 

In den österreichischen Ostalpen gibt es große Salzvorkommen. Diese werden bis heute in Hallstatt und Hallein abgebaut. Beide Orte sind für die Archäologie von großer Bedeutung, denn sie geben einen Einblick in die Lebenswelt der Bronzezeit. Heute gibt es außergewöhnliche Einblicke in die Welt dort: Ich unterhalte mich mit Prof. Dr. Thomas Stöllner über seine Arbeit. Wir befinden uns untertage im Dürrnberg, Hallein. Genauer gesagt in einem Laugwerk. Dort wird Salz mit Wasser aus dem Fels gezogen. Als ich ankomme, stehen Thomas Stöllner und drei seiner Mitarbeiter:innen vor einer Abbauwand und versuchen, mit nachgebauten Pickeln und Keilhauen Salz aus der Wand zu schlagen. Das ist Teil eines Experimentes, das eisenzeitliche Abbaumethoden untersucht. Die untertägige Halle, in der wir stehen, ist dunkel, nur das Experiment ist erleuchtet, um die Szene filmen zu können.

Herr Stöllner, Sie sind Montanarchäologe. Was bedeutet das?

Montanarchäologie kommt aus dem Lateinischen und heißt eigentlich „res montanorum“ – alles was mit den Bergwesen zu tun hat. Das ist seit dem 16. Jahrhundert ein Sinnbild für alles aus dem Bergbau. Die Archäologie hat dieses Themenfeld schon im 19. Jahrhundert entdeckt und dann in den 1960er Jahren den Begriff „Montanarchäologie“ geprägt. Wir verstehen darunter nicht nur das Bergwerk, weil das Bergwerk an sich der Abbau des Rohstoffes ist, sondern alles, was damit zusammenhängt, also auch  die Gesellschaft, die Siedlungen und die Wirtschaft. All dies ist mit einem Bergwerk verbunden. Ein sehr, sag ich mal, ganzheitlicher Ansatz, weil man eigentlich alle Aspekte einer Gesellschaft detailliert kennen muss, um ein Bergwerk zu verstehen.

thomas stoellner guckt freundlich

Das ist sehr spannend. Sie haben mir berichtet, dass Sie das erste Mal als kleiner Junge im Berg waren. Wie war das denn für Sie?

Ich bin in Hallein zur Schule gegangen und wir haben eine Exkursion hier in das Salzbergwerk gemacht. Ich war vielleicht 9 oder 10 Jahre alt. Wir sind hier in die Grube eingefahren. Am meisten haben mich diese engen Baue fasziniert. Im Halleiner Salzbergwerk gibt es einen Grubenbau, den sogenannten „100-jährige Stollen“. Das hat mich fasziniert, weil ich mir gedacht habe: „Da muss man weiter und heraus finden, wohin der Stollen führt.“

100jähriger Stollen

Es ist interessant, wenn man in der Rückschau sieht, was man als Kind schon spannend gefunden hat: Höhlen, untertage, Grubenbaue, die Arbeit untertage, diese besondere Atmosphäre. Das hat mich beruflich verfolgt und macht immer noch Spaß.

Wir alle kennen Salz aus unserem Alltag. Aber was ist denn das Besondere an der Archäologie im Salz? Gibt es besondere Herausforderungen? Wie unterscheidet sich das von anderen archäologischen Fachrichtungen?

Wenn ich vom Rohstoff herdenke, kann ich sagen, Salz ist ein ganz besonderer Rohstoff, weil man ihn isst und weil er lebenswichtig ist. Deshalb ist er in allen Gesellschaften weltweit ein notwendiges Requisit. Jede Gesellschaft braucht Salz. Das heißt, wir haben immer eine Art der Salzgewinnung. Das ist das Spannende an der archäologischen Forschung im Salz – weltweit finden sich ähnliche Phänomene. Dies gilt auch für schriftlose oder schriftarme Zeiten, die wir in der Archäologie erforschen.

Spannend ist auch, dass Salz ein unglaublich gutes Konservierungsmittel ist. Gerade die archäologischen Funde in Salzbergwerken sind alle so erhalten, wie wenn Sie sie gestern weggeworfen hätten. Wir finden also eine unheimliche Breite einer Alltagskultur, die wir anderswo nicht finden. Bei einer normalen Grabung haben Sie Keramik und Metalle, aber nur ganz wenig Organik. Wenn Sie im Salz graben, haben Sie 5% Nichtorganik, alles andere ist Organik. Das heißt, Sie haben ein komplettes Panoptikum, also eine Gesamtschau, einer alten Gesellschaft, mit alldem was diese Gesellschaft ausmacht – bis zum Essen. Denn auch für die Herstellung und Konservierung von z.B. Speck oder Käse war – und ist bis heute – Salz notwendig.  Oder nehmen wir die Viehwirtschaft: Damit die Tiere Milch für den Käse geben und eine gute Fleischleitung haben, braucht es auch Salz. Salz ist also wesentlich für eine Gesellschaft.

Also ein aktueller Lebensweltbezug für unsere Leser:innen, der sich hier herstellen lässt. Sie haben gerade erwähnt, Sie arbeiten weltweit. Wo graben Sie denn aktuell?

Aktuell graben wir an einem zweiten Salzbergwerk. Das ist ein großes Projekt in Iran, das sich um ein Bergwerk nahe Zanjan dreht. Zanjan ist eine Provinzhauptstadt im Nordwesten Irans. Das Bergwerk ist genauso alt wie der Dürrnberg bei Hallein, wo ich meine ersten Grabungen gemacht habe. Es ist aus der sogenannten achämenidischen Zeit, das ist die Zeit der persischen Großkönige, und dort wurde Salz abgebaut. Besonders faszinierend sind die Funde von verunglückten Bergleuten. Diese sind um etwa 400 vor unserer Zeitrechnung zu Tode gekommen. Wir haben ähnliche Funde aus den österreichischen Alpen. Natürlich hätte mich immer interessiert, selbst einen solchen Fund zu machen. Aber bis jetzt haben weder wir noch die Kollegen in Hallstatt das geschafft, dafür aber unser Kollege Herr Dr. Abolfazl Aali in Iran. Seit vielen Jahren untersuchen wir gemeinsam die „Salzmänner“, das Bergwerk und die Umgebung. Das ist ein schönes Projekt und ein unglaublich faszinierender Fundplatz natürlich.

Diese Funde liegen in Museen in Zanjan und in Teheran. Sie haben diese bestimmt auch mal besucht. Wann waren Sie denn das erste Mal dort?

Ich kann mich erinnern, dass ich das erste Mal 2005 während einer Exkursion dort war. Wir hatten eine Grabung in Veshnaveh. Ich wusste schon, dass die Funde aus dem Salzbergwerk in Teheran ausgestellt waren, weil mich ein österreichischer Botschafter darauf angesprochen hatte. Er sagte: „Da gibt’s etwas Interessantes, Herr Stöllner.“ Ich wusste, dass diese Funde etwas Besonderes sind. Mehrere Jahre habe ich mich darum bemüht, Kontakte in Iran aufzubauen.

Und wie war es, die Salzmänner zum ersten Mal zu sehen?

2005 war der sogenannte „Salzmann 4“ zum ersten Mal zu sehen. Er ist durch das Salz gut erhalten und war gerade gefunden worden. Er lag das erste Mal in einer Vitrine und man konnte ihn vor Ort sehen. Das war natürlich unglaublich faszinierend. Wir haben uns immer gefragt, wie wohl ein durch Salz mumifizierter Mensch aussieht. Es gab die alten Berichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert, aber eben keine Funde. Alles was jetzt kam, die ganze Forschung um den Mann im Salz im Iran, hat natürlich eine Fülle an Informationen gebracht.

Zum Beispiel?

Das Faszinierendste ist, dass zum Beispiel die achämenidischen Bergleute meistens Fremdarbeiter waren und an den Salzberg zum Arbeiten kamen. Und der junge Mann – „Salzmann 4“ – der ist wirklich faszinierend. Er kam wahrscheinlich erst kurz vor seinem Tod dorthin, wahrscheinlich im Rahmen eines Arbeitsdienstes oder -auftrages. Er war dort wahrscheinlich nur wenige, vielleicht nur ein oder zwei Tage, und ist dann verunglückt. Das ist eine sehr dramatische Lebensgeschichte, die man da für einen Sechzehnjährigen ableiten kann. Aber es gibt eine Fülle weiterer Detailinformationen: Wie war er angezogen? Wie war er ausgestattet? Welche Krankheiten hatte er? „Salzmann 4“ hatte eine erbliche Krankheit, die man auch an den Knochen sehen kann.

Die kommende Sonderausstellung „Tod im Salz. Eine Ermittlung in Persien“ im Deutschen Bergbau-Museum Bochum dreht sich ja auch um Salzmann 4. Dazu haben sie intensiv mit den Museen in Iran zusammengearbeitet. Jetzt stellt sich die Frage, was ist Besonders an dieser Kooperation?

Ich glaube, dass wir Menschen gut daran tun, zusammen zu arbeiten – auch in Zeiten des Klimawandels und der Coronakrise. Und es bringt uns nichts in dieser Welt, wenn Menschen und Gesellschaften und Staaten gegeneinander arbeiten. Deshalb ist es, glaube ich, aus kulturpolitischer Sicht wichtig, mit Iran zu arbeiten und auf der wissenschaftlichen Arbeitsebene Kontakte zu haben, diese auszubauen und gerade auch zu zeigen, dass trotz aller politischen Differenzen ein Zusammenarbeiten und ein Zusammengehen möglich ist. Ich glaube, das ist das Wesentliche bei so einer Ausstellung: Dass man neben den Inhalten auch eine spannende Geschichte erzählt und unsere Forschung zeigt.  

Was ist das Besondere an der Sonderausstellung?

Wir als Forschungsmuseum wollen Forschung an die Öffentlichkeit bringen und partizipativ mit der Öffentlichkeit in Diskurs treten. Und so ist auch diese Ausstellung letztlich eine Ausstellung, die den Besucher in die Ermittlungsarbeit der Archäolog:innen mitnimmt.

Warum sollten die Menschen ihrer Meinung nach die Sonderausstellung besuchen?

Ich glaube, die Besucher:innen bekommen das Faszinosum „Archäologie“ in einer sehr anschaulichen Weise an einigen ausgewählten Lebensschicksalen der Bergleute, die da verunglückt sind, aufgezeigt. Daraus erschließt sich eine Lebenswelt, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können. In unserer westlichen Welt ist die harte körperliche Arbeit nicht mehr das Übliche. Aber ich glaube, es ist sehr spannend zu sehen, dass Lebensschicksale und Arbeit eng zusammen gehen und sehr unmittelbar sein können. Und durch die Verunglückung wird das schlagartig bewusst. Wir sind das in unseren Bürojobs nicht mehr gewohnt, einen Herzinfarkt vielleicht oder mal einen Schlaganfall kennen wir. Aber dass man auch bei der physischen Arbeit verunglücken kann, das ist in Zentraleuropa nicht häufig. Ich finde es spannend, und ich glaube unsere Ausstellung ist in dieser Richtung sehr anschaulich aufgebaut, so dass die Besucher:innen an dieser Reise in die Lebenswelt der altpersischen Bergleute wirklich viel Vergnügen haben werden.

Da stimme ich Ihnen zu.  Haben Sie noch ein paar abschließende Worte?

Man geht ja immer seinen Weg weiter, und das sage ich auch immer meinen jüngeren Kolleg:innen: „Trauts euch was und machts was“ – auf gut Österreichisch. Dann passiert auch etwas und es geht voran. Wir brauchen in unserer Gesellschaft den Mut, Dinge umzusetzen, und ich glaube, das müssen wir immer wieder versuchen. Dann kommt unsere Gesellschaft voran.

Dann sage ich abschließend: herzlichen Dank, für das Gespräch.

Bitte.

 

Das Interview führte Pia Weber.

Prof. Dr. Thomas Stöllner ist Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum sowie stellvertretender Museumsdirektor und Forschungsdirektor des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen. Mit der Ur- und Frühgeschichte verbindet er viele Rohstofffragen. Das führte ihn schon früh an den Bergbau heran. Sein Spezialgebiet ist die Montanarchäologie. Er forscht weltweit in diesem Bereich.

© Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen

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